Habermas versteht die Welt nicht mehr
Jürgen Habermas‘ Denkweg schien abgeschlossen: Von Marx über Hegel zu Kant, vom Umsturz der Verhältnisse zur Revolution der Denkungsart. Doch nun kommen ihm Zweifel.
Die meisten Philosophen durchlaufen Phasen. Ihr Werk ist von Aufbrüchen, Bekehrungserlebnissen und Enttäuschungen durchzogen und stellt die Interpreten vor die schwierige Aufgabe, alle Richtungswechsel in eine Geschichte zu packen. Für Jürgen Habermas schien diese Geschichte schon geschrieben. Der Meister selbst hatte sie lanciert, als er seinen Weg als Bildungsroman von Marx über Hegel zu Kant beschrieb: Auf die revolutionäre Stimmung der 1950er Jahre, irgendetwas sei in der Gesellschaft grundsätzlich schief angelegt, folgte der Versuch, deren Vernunft zu erkennen und sie mit systematischer Sammelleidenschaft auf den Begriff einer Theorie des kommunikativen Handelns (1981) zu bringen. Diese führte ihn schließlich über das Bestehende hinaus, ohne jedoch einen radikalen Bruch zu erzwingen: Mit Kant entdeckte Habermas in den 1990er-Jahren die Möglichkeit einer weltbürgerlichen Vernunft, die in Europa ihren Ausgang nimmt und irgendwann den gesamten Globus ergreift, der miteinander deliberiert und keine Kriege mehr führt.
Die Unvernunft der Wirklichkeit
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