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Provokante These Kinderwunsch streichen, Klima retten

Auf Auto und Fleisch verzichten und weniger Flugreisen machen - mit diesen Maßnahmen können Sie das Klima schützen. Doch laut Forschern ist noch wirksamer: ein Kind weniger in die Welt setzen.

Um die Erderwärmung in Grenzen zu halten und das ausgerufene Zwei-Grad-Ziel zu erreichen, ist weltweit die Politik gefragt. Doch auch jeder Einzelne kann einen - wenn auch global betrachtet winzigen - Beitrag leisten. Das gilt besonders für Menschen aus Industrienationen, die beispielsweise mit Flugreisen einen deutlich höheren CO2-Ausstoß verursachen als die meisten Menschen in Entwicklungs- oder Schwellenländern.

Doch wo lässt sich am effektivsten sparen? Und empfehlen etwa Regierungen in der Europäischen Union, in Kanada, Australien und den USA tatsächlich auch diese Maßnahmen oder weniger effektive? Wie sieht es mit Schulbüchern aus?

Diesen Fragen sind Seth Wynes von der Universität Lund, Schweden, und Kimberly Nicholas von der University of British Columbia im kanadischen Vancouver nachgegangen. Laut ihrem Bericht sollte man insbesondere Jugendlichen, die eher als Ältere bereit sind, neue Vorstellungen anzunehmen und die grundsätzliche Entscheidungen in ihrem Leben noch vor sich haben, auf diese Maßnahmen hinweisen.

Auf Basis früherer Studien und Berechnungen machen die beiden vier Punkte aus, die sie in Industrienationen empfehlen:

  • kein Auto zu besitzen,
  • Flugreisen meiden,
  • sich vegetarisch ernähren,
  • "ein Kind weniger" in die Welt zu setzen.

Den mit Abstand größten Effekt habe dabei der Verzicht auf mehr Nachwuchs, geht aus der Übersicht im Fachblatt "Environmental Research Letters"  hervor.

Regierungen würden dagegen vor allem zu Maßnahmen raten, die weit weniger brächten - etwa Recycling und Stromsparen. Auch in Schulbüchern fanden sie ihre Top4 kaum wieder.

Aber "eine US-amerikanische Familie, die auf ein Kind verzichtet, spart genauso viel Emissionen ein wie 684 Teenager, die für den Rest ihres Lebens strikt recyceln", schreiben Wynes und Nicholas. Ein Kind weniger, das entspricht in der Studie dem Einsparen von 58,6 Tonnen Kohlendioxid im Jahr (die Emissionen anderer Treibhausgase wie Methan wurden entsprechend umgerechnet und sind enthalten). Ohne Auto leben: 2,4 Tonnen jährlich. Recyceln: weniger als 0,2 Tonnen jährlich.

Um diese Zahlen besser einzuordnen: Ein US-Amerikaner ist laut der Studie im Jahr für rund 16,4 Tonnen CO2-Ausstoß verantwortlich, bei einem EU-Bürger sind es 6,7 Tonnen pro Jahr. Dass man durch den Verzicht auf ein Kind mehr CO2 einsparen kann, als man überhaupt produziert, liegt an der zugrunde liegenden Berechnung in einer älteren Studie : Diese zieht nämlich nicht bloß die Emissionen des Kindes, sondern auch die seiner potenziellen Nachfahren mit ein - und so kommt es, dass eine US-Amerikanerin sich für jedes Kind ein CO2-Vermächtnis anrechnen müsste, das ihren tatsächlichen Ausstoß im Laufe ihres Lebens fast ums Sechsfache übersteigt.

Das Kind als Klimasünde, in einer Reihe mit Auto, Flugreise und Steak - und gleichzeitig noch viel schlimmer als die anderen drei zusammen?

Der Vergleich sei zynisch, schreibt der deutsche Geobiologe Reinhold Leinfelder bei Facebook . Auf die Überbevölkerung als Grundproblem zu verweisen, sei außerdem die Standardausrede, keine anderen Maßnahmen gegen den Klimawandel zu ergreifen, bis diese Problematik gelöst sei. Und drittens mache der Lebensstil den Unterschied, nicht die reine Bevölkerungszahl.

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Tatsächlich muss man sich fragen, ob es die richtige Botschaft an Jugendliche ist, dass sich durch den Verzicht auf ein Kind mehr CO2 einsparen ließe als durch quasi alle anderen Maßnahmen zusammen. Wozu dann noch an Nachhaltigkeit denken bei der Wahl zwischen Bahn oder Auto, Flugreise oder Urlaub in der Nähe, Apfel oder Flugmango usw.? Alles egal, als Kinderloser hat man einen lebenslangen Freibrief?

"Uns ist klar, dass dies zutiefst persönliche Entscheidungen sind", meint Studienautorin Kimberly Nicholas. Aber wir dürften nicht ignorieren, welchen Einfluss aufs Klima unser Lebensstil tatsächlich habe. "Wir hoffen, dass diese Information eine Diskussion auslöst und Menschen hilft, Entscheidungen zu treffen."

In Deutschland liegt die Geburtenrate übrigens im Durchschnitt bei 1,5 Kindern pro Frau. Familien mit drei Kindern sind selten, und seit vielen Jahren wird beklagt, dass insbesondere Akademikerinnen zu selten Kinder in die Welt setzen. Jetzt können sie - und ihre Partner - sich also gleichzeitig der Kritik aussetzen, zu wenige und zu viele Kinder zu bekommen.

wbr